
Fast schon traditionsgemäss rufen die eidgenössischen Schokoladenproduzenten alle paar Jahre den Kakaonotstand aus, mutmasslich, um die Nachfrage zu befeuern, dabei sind Schokoladenprodukte gerade in dieser Jahreszeit ein Selbstläufer.
Aber auch auf den Schokoladenseiten der Wirtschaftsblätter finden sich düstere Prophezeiungen, die den baldigen Untergang beschwören und Schweizer Konsumgüter ohnehin nicht für konkurrenzfähig halten, angesichts des starken Frankens und der Rezession in bestimmten Schwellenländern (Staaten mit eigener Eisenbahn).
Erschwerend kommt hinzu, dass selbst Schweizer ihre Schokobestände im benachbarten Ausland aufstocken und sich obendrein die Mehrwertsteuer erstatten lassen. Wobei man sicher sein kann, dass diese «Schweizer Markenprodukte» nie die Schweiz von innen gesehen haben. Die «Schoggi» hat all diese negativen Signale bisher unbeschadet überstanden. Keine Nation der Welt hat einen höheren Pro-Kopf-Verbrauch als die Schweiz, und Schokolade ist ja nicht nur für den Kopf, sondern für die Seele und auch für den Bauch. Dabei verarbeiten die Schweizer nur ein Prozent der Weltkakaoernte, und sie gehen sehr sparsam damit um: Die Toblerone enthält in Grossbritannien seit einiger Zeit drei Gipfel weniger, und das haben sie absolut verdient.
Zartbitter
Kakao kommt nicht so fröhlich daher wie zum Beispiel die Kichererbse, sondern eher zartbitter, und die Ernte ist sogar ganz bitter. Die Bauern an der Elfenbeinküste verdienen weniger als einen Dollar am Tag. Überhaupt hat sie einen langen und weiten Weg hinter sich von den Azteken über Afrika zu den Ladentheken in Basel oder Lausanne. Das «braune» Gold galt einst als Geschenk des Gottes Quetzalcoatl an sein Volk. Gerade die wilden, ursprünglichen Kakaosorten haben in den vergangenen Jahren Furore gemacht, handgeschöpft mit Limonenpfeffer oder mit chiligetränkten Kakaosplittern.
Sozialfälle
Leider sind die Bäume, die Kakaobohnen tragen, extrem anfällig für Krankheiten. Hinzu kommt der Kahlschlag der Regenwälder, der die Anzahl der Pflanzen radikal dezimiert. Schlimm ist es in Westafrika, aber auch in Indonesien und Bolsonaria. Wohl deshalb gibt es die turnusmässigen Warnungen, um den Schokoladenpreis in die Höhe zu treiben. Für die Wirtschaft immer wieder ein Schock. Zahnärzte werden durch den Wegfall des allgemeinen Kariesbefalls womöglich zu Sozialfällen. Der Verkehr könnte im Winter gänzlich zum Erliegen kommen, wenn die Milchstrasse aus Kostengründen nicht länger gestreut wird. Noch dazu wird der Schokoladenschmuggel fröhliche Urständ feiern, Kartellbildungen drohen, wie beim Kokain oder beim Rindfleisch – man denke nur an das berüchtigte Medaillon-Kartell. Mit anderen Worten: Schokodealer, die die Schwarzmarktpreise diktieren.
Schwipskäfer
Auch Berufsgruppen wie Satiriker, Kabarettisten, Comedians dürften tangiert werden, wenn sie es sich nicht länger leisten können, ihre Mitmenschen durch den Kakao zu ziehen. Das wird nicht der einzige Schlag sein, den die Süsswarenindustrie in Zukunft zu verkraften hat, natürlich fordert der Klimawandel seine Opfer: Im vergangenen Jahr gab es gewaltige Knickebeinbrüche durch den katastrophalen Hagelschlag im österreichischen Mautgau, und die Franzosen melden einen verheerenden Befall durch Schwipskäfer, was im Klartext bedeutet: Weniger Cognacbohnen bis Mitte des kommenden Jahrzehnts.
Wird die Kakaobohne zur Rarität, kann die Schokolinse keinesfalls die ganzen Verluste ausgleichen. Doch Gefahr droht der schweizerischen Süsswarenindustrie auch von anderer Seite: Nach Tabak und Alkohol geht es jetzt auch dem Zucker an den Kragen. Da in Sachen Genussfeindlichkeit die Amerikaner nicht nur uns Europäern, sondern sogar den Taliban um Meilen voraus sind, hier ein abschreckendes Beispiel aus dem US-Bundesstaat Oregon, der schon immer ein Vorreiter auf der Gesundheitswelle war. Auf dem Flughafen Portland werden Neuankömmlinge auf Reisegebäck gefilzt. Amtsbekannte Süssholzraspler werden in Verwahrung genommen. In Corvallis wurde eine Spielhölle mit achtzehn Zuckerwürflern ausgehoben. Im mittleren Oregon haben sich organisierte Süssstoffabhängige in die Wälder zurückgezogen. Chocoholics müssen sich einmal die Woche zur Blutzuckerkontrolle melden – «it’s the law»!
Rezeptpflichtig
Das sind schreckliche Aussichten für die Schweizer Süsswarenindustrie. Vielleicht ist Schokolade demnächst nur über den Gesundheitsmarkt zugänglich – wo einem in Wellnesstempeln Schokolade sonst wo einmassiert wird. Damit wäre sie da, wo sie vor über einhundert Jahren schon einmal war: im medizinischen Bereich. Damals galt Schokolade als Wundermittel gegen Depressionen. Und die dürften sich bei den meisten Zeitgenossen schlagartig einstellen, sobald die Schoggi knapp wird, oder? Als sich Charlie Chaplin 1953 in der Schweiz niederliess, berichtete seine Tochter Geraldine bei einem Empfang im Kölner Stollwerck-Museum, mochte er die Schweizer Schokolade überhaupt nicht. Er liess sich welche aus den USA einfliegen und bunkerte sie an einem geheimen Ort, der der Familie nicht zugänglich war.