Mut zur Lücke

Marco Ratschiller | veröffentlicht am 31.01.2020

Mut zur Lücke
Silvan Wegmann | (Nebelspalter)

Demnächst geht die aktuelle Ausgabe von «Gezeichnet» zu Ende. Das ist jene Karikaturenausstellung, die der ‹Nebelspalter› seit Jahren mitorganisiert und über die hier in der letzten Nummer ausführlich berichtet wurde. Vor einigen Tagen widmete auch die Tagesschau des Schweizer Fernsehens der Ausstellung einen Beitrag. Und hinterliess bei manchem Zuschauer Fragezeichen von einer Grösse, die man noch vom Meteo-Dach her hat sehen können.

Der Beitrag zeigte einige ausgewählte Exponate, liess die beiden mitorganisierenden Nebi-Zeichner Silvan Wegmann sowie Tom Künzli zu Wort kommen – und fertig. Der interessierte Zuschauer erfuhr keine Silbe darüber, wo man die Ausstellung besichtigen kann, bis wann sie zu sehen ist, ja nicht einmal, wie der Anlass überhaupt heisst. Nicht nur Satire darf eben alles. Dasselbe muss irgendwie auch für Bericht­erstattung darüber gelten. Während ich dabei war, mich über den verweigerten Service public aufzuregen und einen geharnischten Brief an den Leutschenbach aufzusetzen, dämmerte mir aber langsam, wie visionär diese neue Form der Berichterstattung im Grunde war.

Beklagen wir nicht schon seit Langem die zunehmende Informationsflut, die sich täglich, stündlich, ja sekündlich über uns ergiesst? Ist Mut zur Lücke vielleicht mehr als ein abgedroschenes Motto, sondern eine clevere Idee, um den Medienkonsumenten aus seiner passiven Lethargie zu locken?

Heute bin ich mir sicher: Die fehlenden WWW-Angaben in der Tagesschau («Was, wann, wo?») haben nur vermeintlich potenzielle Ausstellungsbesuche vereitelt. Im Gegenteil: Sie haben Tonnen von Couch-Potatoes aus ihren Relaxsesseln getrieben, um landesweit durch Museen und Galerien zu ziehen, in der Hoffnung, die geheimnisvolle Ausstellung zu finden. So sieht wahre Kulturförderung aus! Man kann nur hoffen, dass die Tagesschau das Konzept weiter verfeinert. Wie viel spannender ist der Rückruf eines Autoherstellers wegen defekter Airbags, wenn man nicht erfährt, um welchen es sich handelt! Wie viel prickelnder ist die Meldung über den Ausbruch einer neuen Virusinfektion, wenn man noch selbst herausfinden kann wo!

Eine Nasenlänge voraus sind einmal mehr die Amerikaner. Wenn sich der mächtigste Mann der Welt jeweils von A nach B bewegt, weiss mitunter nicht einmal er selbst, in welcher Air Force One oder in welcher von mehreren identischen Limousinen er gerade seine Tweets absetzt.

Sie verstehen nun sicher, weshalb ich bewusst offenlasse, auf welcher Seite sich diesmal die krasseste Pointe versteckt.

Artikel erschienen in der Ausgabe

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