Editorial: Mist gebaut

Marco Ratschiller | veröffentlicht am 27.02.2020

Sie sind nicht allein. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass viele andere Leute, die dieses Magazin lesen, das ebenfalls im Innern einer helvetischen Bausünde tun.

Editorial: Mist gebaut
Swen (Silvan Wegmann) | (Nebelspalter)

Egal, ob Sie gerade im Wartezimmer Ihres Zahnarztes, im Quartierbistro Ihrer Wohngemeinde oder am Küchentisch Ihres Mietobjektes sitzen. Und sollten Sie in diesem Moment ziemlich zufrieden auf dem Sofa des nach eigenen Vorstellungen gestalteten Eigenheims weilen: dann erst recht. Dann ist die Wahrscheinlichkeit besonders hoch, dass Ihre Nachbarn, Freunde und Verwandten beim Stichwort Bausünde heimlich zuerst an Sie gedacht haben.

Eine Bausünde ist primär die Fehlleistung anderer. Wer einmal bewusst ein, zwei Stunden durch ein Eisenbahnwagenfenster die Bausubstanz des Schweizer Mittelandes an sich vorüberziehen liess, der weiss: Die anderen, sie haben wirklich ganze Arbeit geleistet. Von Genf bis Rorschach alles Agglomeration gewordenes Kauderwelsch.

Die Bausünde ist nicht nur sehr verbreitet, sie ist auch sehr alt. Im «Buch der Bücher» sind es von der Erbsünde im Garten Eden bis zur ersten Bausünde nur wenige Genesis-Kapitel. Der Turmbau zu Babel, der in Anspielung auf das berühmte Gemälde von Pieter Bruegel dem Älteren unser Titelbild ziert, endet mit einer göttlichen Intervention, die verhindern soll, dass der Mensch mit seiner eigenen Schaffenskraft den Himmel erreichen kann. Viel spricht dafür, dass als biblische Gegenmassnahme gar nicht die gesprochene Sprache im ursprünglichen Sinn, sondern die ästhetische Sprache der Architektur verwirrt worden ist.

Die wirklich schlechte Nachricht aber ist: Unser Land leidet an architektonischem Sprechdurchfall. Pensionskassen, Banken und zahllose Kleinsparer mit grossen Eigenheim-Träumen suchen fieberhaft nach den letzten Flecken Erde, die bautechnisch noch nicht vollgebrabbelt wurden.

Schlechte Baumeister findet man aber nicht nur auf den letzten verbliebenen Grossbaustellen des Landes. Viele von ihnen müssen unlängst mit der Spezialisierung «Software-Architekt» bei der Swisscom untergekommen sein. Andere haben schon vor langer Zeit als «Verfassungs-Architekten» Staatsgebilde zusammengezimmert, die sich allzu leicht von innen aushöhlen lassen, wenn sich erst einmal die falschen Volksverführer an die Macht gebracht haben. Die Frage ist doch nicht ob, sondern wann das nächste Konstrukt, das den Himmel zu erreichen versprach, in sich zusammenbrechen wird – und welches es zuerst trifft. Wird es nur ein kapitaler «-ismus» sein und gar unsere freiheitliche «-kratie»? Bis dahin: Viel Spass mit dem Nebelspalter – und bauen Sie keinen Mist!

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