Eigentlich

Reto Zeller | veröffentlicht am 03.04.2020

Der Architekt kratzt sich am Bart, der Fassadenbauer erklärt, er habe ja schon beim Bau gesagt, das funk­tioniere nicht, der Gärtner erklärt, mit diesem Schlamassel habe er dann aber auch gar nichts zu tun, der Spengler fahndet in seinen unzähligen Jackentaschen nach der Sonnenbrille, die in seinen Haaren steckt, der Bauleiter fehlt – er wurde nach unserem Bau entlassen. Ich stehe ratlos daneben und mein Vater ruft von seinem Liegestuhl auf dem zehn Meter entfernten Sitzplatz: «Ich würde ausschäumen!» Der Architekt sagt: «Eigentlich sollte das so nicht sein.»

Da ist es wieder, das Eigentlich, dieser so ungebetene wie treue Stammgast in jedem Baustellenzirkus: Eigentlich hätte der Gipser gestern kommen sollen, eigentlich hätte der Monteur merken müssen, dass die eingebaute Tür falsch herum aufgeht, eigentlich dürfte hier gar kein Loch sein, eigentlich müsste hier doch ein Rohr aus der Wand kommen und nicht … was sind das da für Drähte? Autsch! Kurzschluss. Dunkel.

Im Unterton dieses Eigentlich schwingt jeweils Bedauern mit, und Überraschung. Nur kommt das Eigentlich so oft vor, dass es schon wieder überraschend ist, dass im Unterton Überraschung mitschwingt. Bei der herrschenden Gemengelage aus Schnittstellenüberhang, Fachkräftemangel und Termindruck würde es eigentlich überraschen, wenn alles gut gehen würde. Reibungslosigkeit ist das Wunder, das Eigentlich die Regel.

Vater also: «Ausschäumen!» Architekt: «Eigentlich sollte das so nicht sein.» Worum gehts? Wir haben für unseren Neubau eine grosse Terrasse vorgesehen und auch bauen lassen. Wenn das Wetter schön ist, ein wunderbarer Platz zum Ausspannen. Wenn es regnet, nicht. Denn wenn es regnet, dann auch auf dem Sitzplatz. Dieses Terrassenwasser muss nach Baurecht separat abgeführt werden und darf nicht (einfach) irgendwo auf dem Grundstück ins schützenswerte Grundwasser sickern. Die Terrasse hat also zwei separate Kennel, die in ein Rohr münden, das fünfzehn Meter unter dem Haus hindurch in ein sogenanntes Reten­tionsbecken auf der anderen Grundstück­seite führt, wo es separat versickert, not­a­bene im selben Grundwasser wie der übrige Regen, aber eben nach einem lustigen, sinnfreien Umweg. Das Wasser kennt diesen Spezialweg bedauerlicherweise nicht von sich aus. Es wird durch eine sanfte Neigung der Terrasse da­zu verleitet, konzertiert Richtung Kennelp­forten zu fliessen, um dann durch die Alu­rohre runterzuflutschen. So der Plan. Die Terrasse ist auch sehr schön geneigt, aber in die falsche Richtung. Die teure Kennel-Leitung-Retentionsanlage hat noch nie einen Tropfen Wasser gesehen. Das Wasser läuft verlässlich in Richtung der einzigen kennelfreien Sitzplatzkante und von da in die Fassadendämmung. Da drin verteilt es sich in alle Ritzchen, und als es dann in einer Winternacht gefror, sprengte es die Fassade ab.

Jetzt stehe ich mit allen Experten vor dieser geplatzten Fassade, meinen Vater samt Liegestuhl im Rücken. Den Baumenschen geht es um zwei Dinge: Erstens darum, die Prämisse «Ich bin nicht schuld» durchzusetzen. Zweitens darum, zur möglichst einfachsten Lösung möglichst wenig beitragen zu müssen. Die Folge sind Scheinlösungen, die – das weiss man schon zum Vornherein – nichts bringen, aber zumindest wird Zeit gewonnen. Mittlerweile sind wir in der dritten Lösungsrunde angelangt, und mein Vater hat auch schon dreimal «Ausschäumen!» gerufen.

Als Bau-Laie mit einigem Restverstand weiss ich es schon lange: Die Neigung der Terrasse ist das Problem. Dies zu beheben, hiesse aber, ein Riesenfass aufzutun. Also doktern alle mit unpraktikablen Lösungsversuchen daran rum. Es wird dauern, bis das Ganze final gelöst ist. Bis dahin gehe ich schon mal Probe liegen im Liegestuhl meines Vaters, um ihn dereinst in seiner Rolle als Sidekick auf der Baustelle abzulösen. Eigentlich eine schöne Aufgabe: «Ausschäumen!»

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