
Heutzutage gibt die Schweiz gern die neutrale Bergnation. Switzerland Tourismus zementiert das friedfertige Image mit millionenschweren Werbekampagnen. Damit wird darüber hinweggetäuscht, dass kaum ein Volk uns in unserer Reizbarkeit übertrifft. Denn so kriecherisch wir heute sind, so riegerisch waren wir früher.
5000 v. Chr: Kurz nachdem sich die eiszeitlichen Gletscher aus den alpinen Skigebieten zurückgezogen haben, strömen die Schweizer Pfahlbauer aus ihren Höhlen und bewohnen die Gegend um die Mittelland-Seen. Bald darauf kommt es zur frühesten nachgewiesenen Reizbarkeit eines Schweizers. Eine Gruppe von Aktivisten ver-langt, seine Liegenschaft mit Seeanstoss allen Fussgängern zugänglich zu machen. Der Pfahlbauer verjagt die Demonstranten mit der Androhung, ihnen einen zugespitzten Holzpfahl in ihr kommunistisches Herz zu treiben.
15 v. Chr: Die Römer legen die Alpenpässe an. Die Helvetier nennen die Grenzgänger aus dem Süden abschätzig «Tschinggen». Die anfängliche Fremdenfeindlichkeit weicht bald der Einsicht, dass die Gastarbeiter nicht nur die Verkehrsinfrastruktur der Schweiz verbessern, sondern auch Amphoren mit Wein über den Gotthard transportieren, die günstiger sind als inländische Produkte.
1291: Als wohl bekanntester Choleriker der Schweiz tut sich ein Innerschweizer namens Tell hervor. Bis heute gilt er als beispielhaft für die Reizbarkeit der Schweizer. Obgleich er nur einen Hut grüssen soll, führt die hitzige Diskussion mit seinem Vorgesetzten dazu, dass er einen Apfel vom Haupt seines Sohns schiesst. Anders als später vom Dramatiker Schiller dargestellt, tut er dies nicht auf Anweisung des Chefs, sondern als Folge seiner Unbeherrschtheit: Tell ist aufgebracht über die steigenden Preise von Bio-Äpfeln. Dass er in seiner Gereiztheit das Leben des Kinds aufs Spiel setzt, bringt die Urner Kesb-Behörde auf den Plan. Immer noch 1291: Das letzte Mal, dass drei Kantone sich auf etwas einigen können, ohne sich in gereizten Debatten zu verlieren, ist die genaue Stelle für den Rütlischwur. Weil er «Rütlischwur» genannt werden soll, kommt allerdings auch nur der Platz namens Rütli in Frage.
1351: Bis zum heutigen Tag bereuen die Urkantone, dass man der Stadt Zürich leichtfertig den Zutritt zum Bund gewährt. Denn dies führt dazu, dass viele Zürcher bei uns im Land Ferien machen. Bald nennen die Zürcher den Flumserberg ihren «Hausberg», obschon das Skigebiet im Kanton St.?Gallen liegt.
1499: Im Schwabenkrieg führen die Eidgenossen die Trennung vom Deutschen Reich herbei. Sie verinnerlichen den Schlachtruf «Sauschwab!» so stark, dass dieser viele Jahrhunderte bestehen bleibt. Zu einer Wiedervereinigung kommt es erst durch den Preiszerfall der Währung, wonach der Schweizer den früheren Gegner in positiverem Lichte sieht.
1513: Mit dem Beitritt von Appenzell erweitert sich das Schimpfwort-Vokabular der Schweiz. Am häufigsten bedienen sich die als schnell reizbar bekannten Appenzeller ihrer Floskel «Gang ewägg, du fremde Fötzel!»
1653: Seit dem Bauernkrieg ist bekannt: Man soll Landwirte nicht damit reizen, ihnen das Güllen oder Ausbringen von Pestiziden verbieten zu wollen. Sie werden sonst in einer Gemütsexplosion den Mist genau dann führen, wenn man seine Wäsche aufhängt. Ergänzt wird der Schweizer Wortschatz um das Bonmot: «Kümmere dich um deinen eigenen Scheiss!»
1519: Nachdem der zu seiner Zeit als Religions-Hooligan geltende Luther mutwillig öffentliches Eigentum zerstört, indem er Plakate an Kirchentüren nagelt, ruft auch in der Schweiz ein wütender Reformator namens Zwingli die Kirchgänger dazu auf, ihren Unmut gegen die hohen Kollekten kundzutun und Dekorationsgegenstände zu verbrennen.
1871: Das 1. Vatikanische Konzil verkündet das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes. 400 000 Schweizer verlassen die römisch-katholische Kirche. Dabei handelt es sich ausschliesslich um mitgliedstarke Schützenvereine, die «Unfehlbarkeit» für sich allein in Anspruch nehmen.
1887: Der Architekt Le Corbusier wird geboren. Die zeitgenössische Kritik ist voll des Lobes über seine Designs als Stadtplaner. Seit Google Earth Luftbildaufnahmen zur Verfügung stellt, ist er in der Achtung gesunken, ist doch von oben deutlich zu sehen, dass er Strassenzüge so angeordnete, dass sie das Wort «Merde» bilden.
1891: Die Einführung der Volksinitiative öffnet Tür und Tor allen leicht reizbaren Schweizern, die viele Verbote im Gesetz verankern wollen. Eine Initiative, die den Schweizer Reizdarm verbieten will, scheitert.
1895: Die Eidgenössischen Schwingfeste täuschen als folkloristische Grossveranstaltungen über ihren kämpferischen Ursprung hinweg. Beim Ur-Anlass des Steinstossens in Biel geht es noch darum, mit dem Stein einen Gegner zu treffen. So gehen auch die heutigen Schwingregeln, jemanden bei der Hose zu packen, auf den Kampfgriff zurück, dem Kontrahenten die Hose vom Leib zu reissen. Und wird jemandem das Sägemehl vom Rücken geklopft, soll dieser hinterhältige Schlag anno dazumal den schon am Boden liegenden Gegner zurück ins Sägemehl drücken.