
Sind Sie zusammengezuckt, als Sie zum ersten Mal gelesen haben, Sie seien das «Gesicht der Krise»? Vermutlich schon. Besonders schmeichelhaft klingt das ja nicht, obwohl es sicher nicht böse gemeint ist. Das wahre Gesicht der Krise hat bekanntlich die Eigenschaft, unheimlich klein zu sein, weshalb es fürs Auge unsichtbar und fürs Gemüt auch wirklich unheimlich ist.
Seit das Virus sich in der Schweiz festgesetzt hat, sind Sie tagtäglich auf unseren Schirmen präsent mit der Mission, die Kurve abzuflachen. Wer bereits die Eloquenz eines Christian Drosten vom deutschen Robert-Koch-Institut im Ohr hatte, musste erst mal umlernen, um Ihrer langsamen, knorrigen Art der Ausführungen etwas abgewinnen zu können. Vor allem etwas Vertrauensbildendes.
Vielleicht liegt es aber an der alten Regel, wonach sich in Krisenzeiten die Reihen schliessen und Kritik fehl am Platz ist. Jedenfalls, wie bei allem, was bei Corona überraschend schnell geht: Nach wenigen Tagen war er da, Ihr Kultstatus. Die Menschen mögen Sie, gerade weil Sie so helvetisch bedächtig ins Mikrofon sprechen, dass die bundesrätlich verordnete Entschleunigung akustisch erlebbar wird. Ihre Ausführungen haben jene Vertrautheit, jenen Charme, den wir jeweils vom Kassier des Taubenzüchtervereins Niederkaffikon an der GV schätzen. Die Leute spüren, der Koch vom BAG kocht auch nur mit Wasser. Wir Schweizer lieben das.
Nach wenigen Tagen schon ging es den ersten Journalisten nicht mehr nur darum wiederzugeben, was Sie als Spitzenbeamter des BAG Seite an Seite mit Alain Berset und Simonetta Sommaruga der Bevölkerung zu sagen haben, sondern dem Volk zu vermitteln, wer das überhaupt ist, dieses «Gesicht der Krise». Koch, der disziplinierte Halbmarathonläufer. Koch, der sympathische Hundebesitzer (Boxer «Buntschi» ist Tablet-Hintergrundbild). Koch, der am 13. April offiziell in die Ü65-Risikogruppe wechseln wird, aber im Amt bleiben soll, solange es ihn braucht.
Auch in den sozialen Medien hat man bald damit angefangen, Sie für Ihre Dauerpräsenz, Ihre Disziplin und Ihre Gleichmut zu feiern. «Wie schafft er das nur?» Ja, fragen wir stellvertretend für alle Facebook- und Twitter-Fans: Woher nehmen Sie nur die ganze Energie? Klar, eine gewisse Einsparung liegt darin, nicht zu lächeln. 43 Gesichtsmuskeln sollen dabei nötig sein. Lachen ist derzeit auch gar nicht angebracht. Nur schon wegen der Glaubwürdigkeit. Nur schon wegen der Macht der Bilder. Das musste auch Ihr Big Boss Berset erfahren, als er – woah, wie lange ist das schon her? – die Nation zum Ellbogengrüssen aufrief und postwendend der St.?Galler Gesundheitsdirektorin Heidi Hanselmann munter die Hand schüttelte.
Eine weitere Einsparung läge übrigens noch darin, die nachmittäglichen Medienkonferenzen nicht unnötig durch das stereotype «Sehr geehrte Frau Bundespräsidentin, sehr geehrter Herr Bundesrat» bei jeder Wortmeldung in die Länge zu ziehen.
In Wahrheit verdienen Sie sich unsere Bewunderung aber weniger für Ihre Dauerpräsenz als für Ihr Verkaufstalent. Tag für Tag müssen Sie das Wenige zu Markte tragen, was Sie anbieten können. Steigende Zahlen und wiederkehrende Parolen. Was das BAG im Angebot hat, ist alles, was wir brauchen. Was der Bund nicht liefern kann, braucht ohnehin kein Mensch. Diese Rhetorik ist doch irgenwie ein Trostpflaster für alle, die diesen Frühling an der abgesagten BEA gerne ein paar Minuten vor dem legendären Gemüsehobel-Stand mitgelauscht hätten.
Schutzmasken für alle? Des Marketenders Losung: Bringt nichts! Millionen Asiaten irren sich seit Jahren, und die Österreicher äffen das nun auch noch nach. Des Rätsels Lösung: Wir haben schlicht nicht genug. Grossflächiges Desinfizieren von verseuchten Gebäuden und Plätzen? Die offizielle Losung: Wird im Ausland nur für die Fernsehbilder gemacht, wer reibt schon mit dem Gesicht über den Boden? Das offizielle Rätsel: Haushalte mit Corona-Infektionen sollen Abfall nicht mehr trennen und rezyklieren. Weil andere Leute an den Sammelstellen an fremden PET-Flaschen nuckeln?
Sehr geehrte Frau Bundespräsidentin, werte Mitleserschaft, ich freue mich über die Gelegenheit, Herrn Koch an dieser Stelle für seinen Einsatz zu danken. Ihm werden wir weiterhin jeden Gemüsehobel abkaufen. Nicht nur, weil wir gar keine andere Wahl haben.