Morgen ist heute schon gestern

Marco Ratschiller | veröffentlicht am 01.05.2020

Morgen ist heute schon gestern
Aaron Gruber | (Nebelspalter)

Liebe Leserinnen und Leser,

ich freue mich, dass Sie noch dabei sind. Vielleicht erinnern Sie sich noch: Vor genau fünf Jahren, in der Maiausgabe 2020, als wir noch am Anfang der Krise standen, verwendete ich die Metapher vom Fallschirmspringer, der ungeduldig seinen Schirm abschnallt, nachdem er damit erfolgreich den freien Fall ein wenig abgebremst hatte. Das Dumme war nur: Der Springer hatte noch lange keinen sicheren Boden unter den Füssen.

Heute wissen wir: Es mussten noch viele Schirme gespannt werden. Der damalige Gesundheitsminister und heutige Roche-Verwaltungsrat Alain Berset prägte das Motto: «So schnell wie möglich, aber so langsam wie nötig.» Irgendwann haben wir aufgehört zu zählen, mit welcher Welle uns was an Geliebtem und Vertrautem abhanden kam. Haben wir zum Beispiel schon vergessen oder nur verdrängt, dass man Fasnacht vor 2020 noch genau umgekehrt feierte – während weniger Tage maskiert, das restliche Jahr über unverhüllt? Haben wir bereits vergessen oder einfach nur verdrängt, dass Radio-Staudurchsagen früher den Strassenverkehr und nicht die Wartezeit vor den Fachmärkten betrafen?

Im Auf und Ab und im Hin und Her der letzten Jahre konnten wir uns wenigstens immer auf eines verlassen: Schuld waren immer die anderen. Wenn wir heute die Rezession endgültig hinter uns haben und das Land wieder zuversichtlich in die Zukunft blickt, ist das freilich nicht das Verdienst eines Einzelnen. Ohne dem Urteil künftiger Historiker vorgreifen zu wollen, dürfte der Kurs der Bundes­räte Martullo, Köppel und Wasserfallen ab 2023 die entscheidenden Impulse gegeben haben. Nach dem konsequenten Lockout kann deshalb die Schweizer Bevölkerung, die sich inzwischen stabil bei fünf Millionen Einwohnern eingependelt hat, wieder mit einer steigenden Lebenserwartung rechnen.


Falls Sie noch im Besitz eines alten Kontos mit Flugmeilen sind, freuen Sie sich auf Eröffnung des grossen Freizügigkeits-Mahnmals auf dem Gelände des früheren Flug­hafens Zürich: Für 1000 Meilen können Sie die Ausstellung «Virulenzia – wie die globale Mobilität den Tod brachte» und die bis 2020 üblichen Fluggeräte besichtigen.

Artikel erschienen in der Ausgabe

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