
Je nachdem, ob, wann und mit welchen Auflagen die Badis öffnen, passt der folgende Text oder er schildert, was wir verpassen.
Wenn die Lufttemperatur der allgemeinen Klimaerwärmung die Ehre erweist, und die Gewässer selbst bei 24 Grad als Abkühlung empfunden werden, dann tummeln sich in Freibädern und an Stränden Geschöpfe, mannigfaltig wie Gott sie geschaffen hat: Athletiker, Leptosomen und Pykniker, oder zu Deutsch: ganzkörperrasierte Barbie-Männer auf der einen und rückenbehaarte Halbaffen auf der anderen Seite. Bei den Frauen geht das Spektrum von sonnendurchfluteten Knochengestellen bis hin zu cellulitischen Manifestationen von Fleisch.
Denn manch Vorhaben, im kalten Halbjahr seinen Körper badikonform zu trimmen, ist längst in die Badehose gegangen. Neujahrsvorsätze fallen jetzt ins Wasser wie Obelix ins Schwimmbecken. Winterspeck kommt an die Sonne und wandelt sich zur Bratwurst. Hüftwülste werden zu Schwimmringen, selbst versteckte Fette fliegen auf. Und neu im Sortiment: quarantänegebleichte Gestalten, die in blinder Staatsgläubigkeit ein Vierteljahr jedes Sonnenlicht gemieden und so ihr Immunsystem auf null gefahren haben.
Badesaison. Das Land ist ein einziges Plausch- und Planschbecken. Aus der Vogelperspektive muten die Freibäder an wie Fischzuchtanlagen mit integrierter Legehennen-Batterie. Was sich hier in Reih und Glied und mit dem obligaten 2-Meter-Abstand aalt, ist aber weder Fisch noch Vogel, sondern menschliches Bratgut, eine einzige Massengrillade. Alle fünfzehn Minuten wendet der Bademeister die trägen Leiber.
Badebekleidung. Wer dem Undress-Code nicht entspricht, kann sich warm anziehen. Wem der Hängebauch die Badehose nicht ohnehin überflüssig macht, für den wirft die Entkleidungsindustrie Bademode auf den Markt, welche mehr mit nihilistischem Antimaterialismus zu tun hat als mit handfester Verkaufsware: homöopathische Körperbedeckung ohne messbare textile Substanz. Stattdessen ein zarter Hauch feinstofflicher Schwingung; Brüste hängen buchstäblich an einem seidenen Faden, Strings zieren pralle Ärsche, bevor sie auf Nimmerwiedersehen in der Poritze verschwinden.
Bad boys and girls. Es ist Hochsommer, Frauen rasieren sich öfter als Männer. Die Bikini-Line, die Schamhaargrenze und damit jegliches Schamgefühl werden durch Rasur niedergekämpft wie die alpine Baumgrenze durch Viehtritt.
Die letzte und einzige Intimzone, die noch konsequent abgedeckt wird, sind die Augen. Hinter verspiegelten Sonnenbrillen spähen voyeuristische Blicke hervor, welche die Umgebung nach körperlichen Glanzpunkten und Abgründen abscannen. Gesellt sich noch eine Gesichtsmaske hinzu, ist die Anonymität des Spanners perfekt. Bei den Damen der Schöpfung indes entfaltet sich die heilige Dreifaltigkeit: Im Namen des linken Körbchens, des rechten Körbchens und der heiligen Schutzmaske …
Alles geht baden. Auch jegliche Zurückhaltung. Männlein und Weiblein rennen herum wie einst Adam und Eva im Paradies. Archaisches, pränatales Verhalten macht sich breit, wenn erwachsene Frauen und gestandene Männer im Wasser strampeln und vor lauter kleinkindlichem Wohlbehagen ihrem Harndrang freien Lauf lassen. Im Wasser Wasser lassen, wo denn sonst. Man folgt dem Urinstinkt, denn Urin stinkt unter Wasser glücklicherweise nicht. Die Folge: Fischsterben und stetes Ansteigen des Wasserspiegels und der Wassertemperatur.
Sonnenbad. Bad in der Menge. Sehen und gesehen werden. Eitel Sonnenschein. Während aber Menschen nur scheinen, scheint die Sonne tatsächlich. Sie knallt durchs Ozonloch, dass es knallt. Flächendeckende Sonnenbrandstiftung führt zu harten Sonnenschutzmassnahmen: Unter einer dicken Schicht Sonnencreme werden Fleisch, Fett, Schweiss und Schwangerschaftsstreifen eins. Kinder werden mit Faktor Taucheranzug zugepappt, während Jungmütter ihre Säuglinge mit Sonnenmilch stillen.
Doch nicht alle befolgen die Sonnenbrandverhütung: und so kommt es, dass unbekümmerte Kinder auf die elterliche Frage, ob sie sich brav eingecremt hätten, nicht noch mehr erröten können … Sie sind nur stolz auf ihr erstes Schwimmabzeichen am Badehöschen: das Krebsli. Doch nun prangt knapp daneben ein Hautkrebsli. Das Trauma nimmt seinen Lauf, wenn Mama mit dem Kartoffelausstecher zur Tat schreitet oder die gebrannten Kinder von Fieberträumen heimgesucht werden, in welchen brünstige Seekrebse hordenweise ans Ufer kriechen, über ahnungslose Menschen herfallen und sich mit deren Melanomen paaren.
Das Ende für Badende. Du brutzelst langsam vor dich hin und auf einen Hitzschlag wird dir klar, dass deine letzte Ölung Stunden zurückliegt! Mit letzter Kraft bittest du den Bademeister, dich ins Wasser zu rollen. Dein ultrahocherhitzter Kreislauf kollabiert, dir wird schwarz vor Augen, schwarz wie deine verkohlte Haut, während es dir eiskalt den Rücken runterläuft. Du gehst langsam unter wie die Abendsonne im Ozean und entleerst ein letztes Mal deine Blase.