Lockdown

Ralph Weibel | veröffentlicht am 03.07.2020

Gratuliere! Sie haben das Coronavirus überlebt und die Hysterie um dieses, welche uns Lockdown, Homeoffice, Tracing, Social Distancing und die Erkenntnis brachte, endlich ordentlich Englisch lernen zu müssen! Der Wahnsinn dieser «besonderen Zeiten» spiegelt sich in den wöchentlichen «Frisch gespalten»-Kolumnen auf www.nebelspalter.ch:

Lockdown
Schlorian (Stefan Haller) | (Nebelspalter)

Im Januar war der Pulverdampf der Rückblicke auf ein «Jahr zum Vergessen» – Australien und Brasilien brannten, Klimademos, Gelbwesten und Hongkong-Chinesen, Linksrutsch in Bundesbern – noch nicht verraucht, da tauchte erstmals das Coronavirus auf und drohte uns alle dahinzuraffen. Das Panikbarometer zeigte steil nach oben. Ich versuchte zu beruhigen: «Doch dann erinnern wir uns an SARS, Schweinepest, Vogelgrippe, Ebola und Trump. Die Mehrheit hat diese Launen der Natur überlebt.»

Leider half das nicht, die aufkommende Panik zu verhindern. Während sich im TV Sonder- und Diskussionssendungen jagten, der Engadiner Skimarathon abgesagt, Fussballspiele ausgesetzt, Konzerte und die Fasnacht gestrichen wurden, drängte sich die Frage auf: «Was glauben Sie, passiert, wenn ein Fuchs in einem Hühnerstall umhergeht und mit beruhigender Stimme sagt: ‹Keine Panik, es ist alles halb so schlimm?› Glauben Sie, die aufgescheuchten Hühner werden sich wieder auf ihre Eier setzen?» Funktionierte nicht. Im Gegenteil. Hamsterkäufer prügelten sich um Klopapier und Teigwaren: «Angesichts der leer gefegten Gestelle ist Schlimmes zu befürchten, zumindest für Menschen, die Hörnli-Salat hassen. Es ist absehbar, wie im Sommer jede Einladung zu einer Gartenparty mit der Frage quittiert werden wird: ‹Soll ich Hörnli-Salat mitbringen?›»

Mittlerweile marschierten die Medien stramm hinter dem Bundesrat und jeder und alle, die sich kritisch gegen den Lockdown äusserten, wurden in die Ecke der aluhuttragenden Verschwörungstheoretiker gestellt. Zweifeln durfte man auch nicht, als die Spitäler Kurzarbeit anmeldeten oder UN-Generalsekretär Antonio Guterres eine Waffenruhe forderte. «Letztlich ist es egal, ob Menschen an einem Virus sterben oder durch Krieg. Wahrscheinlich haben die Waffenhändler Angst, ihre Zielgruppe könnte verrecken, bevor sie von einer Kugel getroffen, einer Granate zerfetzt oder einem Panzer überrollt wird.»

Ganz ohne Umsatz blieb die Waffenlobby nicht. In Amerika wurden in Kürze die Lagerbestände eines Jahres leer gekauft. «Der Ami kauft sich Waffen gegen das Coronavirus. Schweizer und Deutsche horten Toilettenpapier und Dosenravioli, in Frankreich sind Rotwein und Kondome ausverkauft, der Holländer kifft sich voll.»

Wenn es nicht so traurig gewesen wäre, hätte man darüber spotten können, welche Berufsgattungen sich als systemrelevant herauskristallisierten. «Da wirkt es nachgerade lächerlich, wenn wir hinaus auf die Balkone treten und solidarisch applaudieren, für Pflegehelfende (Mindestlohn Fr. 3955.–), Fachfrauen und -männer Gesundheit (4389.–) und Pflegefachleute (5600.–), ganz zu schweigen von Spitalreinigenden (3640.–). Sie sind wie Lastwagenfahrende, Verkaufspersonal und Müllmänner übrigens alle systemrelevant. Nicht dazu gehören die zehn bestverdienenden Berufe in der Banken- oder Versicherungsbranche mit Lohnexzessen in Millionenhöhe. Irre, die Spitze der Irrelevanz.»

Nach gut einem Monat Homeoffice hatten wir uns den neuen Umständen angepasst. Die wichtigsten Sätze waren: «Hallo, ghöred ihr mi?» und «Hallo gsehnd ihr mi?» Wobei die fortschreitende Bräunung beim täglichen Team-Call anzeigte, wie arbeitsintensiv der Vortag war. Wer während der Bürozeit nicht spazieren ging, rollte die Yogamatte vor dem Fernseher aus, nachdem er oder sie die Hausaufgaben des Playstation spielenden Nachwuchses erledigt hatte. Apropos Nachwuchs. Eine Freundin aus Zürich schrieb mir aus dem Homeoffice: «Ich führe laute Diskussionen mit unserem Jüngsten, der wohl bei lebendigem Leib verfaulen wird, falls der Kanton Zürich die Maturaprüfungen absagt. Andererseits hat er so die Chance auf eine bestandene Matura.»

Für Thurgauer und St.?Galler Maturandinnen und Maturanden musste dies wie eine Stimme aus dem Paradies klingen. «In der pandemischen Panik, der Angstschweiss der sabbernden Maturanden könnte über die Plexiglasabtrennung bis zu den ergrauten Risikoprüfungsexperten spritzen und sie auf direktem Weg aus dem Klassenzimmer in die Hölle verfrachten, haben viele Kantone beschlossen, die schriftlichen Maturaprüfungen auszusetzen. Einige, um das kantonale Wirrwarr perfekt zu machen, führen nur den mündlichen Teil  durch.»

So nach zwei Monaten gingen zu Hause die normalen Vorräte aus und man wagte sich in einen Laden. «Bevor sich Alain Berset vom Lockdown trennen kann, steht man an der Kasse mit einem Wagen voll Farfalle, Fettuccine und Fusilli. Man spürt die verächtlichen Blicke der anderen Einkaufenden. Unweigerlich überkommt einen das Gefühl, sich erklären zu müssen für den Hamstereinkauf, der vor zwei Monaten noch Grosseinkauf hiess. Bevor man aber etwas sagt, schaut man in die anderen Einkaufswagen voller Toiletten­papier und denkt, irgendwie ist man in dieser Zeit immer angeschissen.»

Mit den langersehnten, ersten Lockerungen öffneten als Erstes die Coiffeursalons, fragen Sie nicht warum. Das Versprechen auf weitere Lockerungen zeigte schonungslos die Verwirrung des «zusehends überforderten Bundesrates. ÖV geht, der Sesselilift auf einen Berg und Campingplätze nicht, Maskenpflicht nein, Gott sei Dank.» Dafür durften Grosseltern ihre Enkel wieder umarmen. Restaurants öffneten mit 2-Meter-Abstandsregel, für sitzende Gäste, bis 24 Uhr. Das Virus schien es besonders auf stehende Nachtschwärmer in Gruppen von vier Personen abgesehen zu haben. Die Verwirrung war gross und führte zu folgendem Leserbrief: «Heute könnte ich mich kosmetisch verwöhnen, die Nägel lackieren, die Ohren piercen oder den Hintern tätowieren lassen. Aber meine kaputte Brille kann ich nicht reparieren lassen, denn die Optikergeschäfte sind zu. Bin ich nun irr, oder was?»

Im Hinblick auf weitere Lockerungen begann die hohe Zeit der Technokraten. Die Woche nach dem als «historisch» gepriesenen 11. Mai wurde zum «Schaulaufen zwischen Abstandsmarkierungen, Richtungspfeilen, Plexiglasscheiben und Desinfektionsspendern. Jedes Geschäft, Restaurant oder jeder Sportverein scheint sich in der Umsetzung des geforderten Sicherheitskonzeptes übertreffen zu wollen. Das färbt ab. Auch ich habe ein Sicherheitskonzept erarbeitet. Auf die Gefahr hin, nach Absage aller Auftritte könnte mir die Decke auf den Kopf fallen, trage ich 24 Stunden am Tag einen Helm. Küssen verboten! Meiner Frau reiche ich den vollgerotzten Ellenbogen. Das vom Bio-Bauern gelieferte Gemüse stecke ich zwei Wochen in Quarantäne und werfe es dann direkt auf den Kompost.»

Natürlich waren auch die Helden der Krise, Berset, Koch und Sommaruga, nicht untätig. Voller Stolz verkündete die Bundespräsidentin weitere Lockerungen unter verwirrenden Regeln und nannte sie neue Normalität. «Ich darf ins Puff, aber Paartanz und Kontaktsport sind weiterhin verboten! Ist das die neue Normalität?»

Damit wir in Trainerhosen die Kontrolle über unser Leben nicht ganz verloren, wurde uns die kontrollierte Freiheit schrittweise zurückgegeben, wenngleich sich «der Restaurantbesuch mit Schutzbestimmungen und Registrierung anfühlt wie eine Vorsorgeuntersuchung. Dabei geht ein Vorteil vergessen: Nie wieder Filmriss. Künftig kann man beim BAG ein lückenloses Protokoll anfordern, in welchen Kneipen man der Reihe nach war und was man getrunken hat. Und wenn die Tracing-App fertig ist, weiss man sogar, in welchen Hauseingang man auf dem Nachhauseweg gepinkelt hat.»

Irgendwann wird auch das Normalität und wenn wir dann zurückblicken, so ein Corona-Post, werden wir uns lachend in den Armen liegen und sagen: «Das waren vielleicht verrückte zwölf Jahre!»

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