
Wir schreiben das Jahr 2020. Die ganze Schweiz ist im festen Griff eines amerikanischen Kaffeekonzerns. Die ganze Schweiz? Nein. Ein von unbeugsamen Bündnern bevölkerter Kanton hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten.
Wieso eigentlich Amerika, fragt man sich dort, was hat Amerika mit Kaffee zu tun, niemandem ist dieses Schnellfressland als führende Kaffeenation erinnerlich – eher denkt man an Österreich mit seinen Einspännern oder Italien mit seinen Espressi, notfalls Frankreich (mit der üblichen Selbstüberschätzung), sogar die Schweiz pflegt gewisse Kaffeetraditionen, vor allem im direkten Vergleich zu Deutschland, aber Amerika? Jahrzehntelang hat man dort ein Gesöff kredenzt, das mit «something related to coffee» durchaus höflich umschrieben war und in fortschrittlicheren Ländern wie Italien Giftalarm ausgelöst hätte. Vom alten Abe Lincoln ist folgender Satz überliefert: «If this is coffee, please bring us some tea. If this is tea, bring us some coffee!»
Cappuccino
Die einzigen Bohnen, die in Amerika lange Zeit weite Verbreitung fanden, waren blau. Allerdings entwickelte sich im Nordwesten ganz zögerlich etwas Ähnliches wie Kultur: Wo es vorwiegend nass und häufig kühl ist, braucht der Mensch Wärme, drinnen wie draussen, da sind Heissgetränke praktizierte Notwehr. Ein Glücksfall für die Region war die segensreiche Tätigkeit des Mönches Arbuccho Puccino, der Ende des 19. Jahrhunderts im südlichen Teil des Staates Washington wirkte, nachdem er sich bereits im Puschlav dem Kapuzinerorden angeschlossen hatte. Die Mönche entsandten ihn in die Neue Welt, wo er den Indianern vom Stamm der Javamish Gutes tat, sie in Schnapsbrennen und Kartenspiel unterwies, sich nicht als zwanghafter Bekehrer definierte und für ihre Nöte stets ein offenes Ohr hatte. Zum Dank zeigten ihm die Indianer, was man mit Kaffeebohnen alles machen kann: Rösten! Untereinander mischen! Mit Aromastoffen versehen!
Diese sensationellen Kenntnisse gepaart mit einem Quäntchen europäischen Know-hows ermutigten Arbuccho, 1917 in Seattle seine erste Missionsstation in Gestalt einer Kaffeebar zu eröffnen. Ein spezielles Kaffeegetränk mit einer Haube aus weissem Schaum entwickelte sich rasch zum Publikumsrenner. Zu Ehren des Ordens, dem Arbuccho angehörte, nannte man es bald «Cappuccino».
Macchiato
Anfang der 80er-Jahre des letzten Jahrhunderts änderte sich das soziale Klima der USA: Die Helden der gierigen Reagan-Ära mussten topfit sein für einen immer stressigeren Alltag, Fett und Cholesterin waren von heute auf morgen verpönt, Alkohol und Zigaretten gesellschaftlich geächtet. Die Menschen dürsteten nach einer Ersatzbefriedigung und fanden sie – im Kaffee. 1983 legalisierte Washington den Verkauf von Gourmetkaffees. Unermüdlich warfen Kaffeeproduzenten neue Kompositionen auf den Markt, koffeinfreie Bohnen und Fertigkaffees mit künstlichen Aromen wie z.?B. «Zimbabwe Nutmeg Rhubarb». Die Ersatzdroge Kaffee verhiess neue Arbeitsplätze: Edelröster, Schaumschläger, Aromaversiegler, Kaffeesatzleser, Gefriertrockner und Kreislaufspezialisten.
Binnen einer Dekade vollzog sich in Amerika ein grundlegender Wandel der Kaffeekonsumgewohnheiten. Massgeblichen Anteil daran hatte ein Mann, der 1980 seine Chance erkannte: Howard Schultz. Howie hatte eine Vision. Er erinnerte sich an den Kapuzinermönch Arbuccho Puccino, liess eine Werbekampagne entwerfen, die diesen zur Gallionsfigur stilisierte, und nannte seine Firma Saint Arbucks. Der Volksmund machte im Handumdrehen Starbucks daraus. Schultz, der Bill Gates der Kaffeebohne, begriff sich als Missionar. Die religiösen Aspekte seines Schaffens verdienen Aufmerksamkeit, Gourmetkaffeetrinker kann man getrost als Gemeinde bezeichnen, sektengleich über den Globus verteilt.
Espresso
War die Schweiz nicht immer eine stolze Kaffeenation gewesen, Heimat zumal der Schutzheiligen aller Koffeingläubigen: Lilo Pulver? Jeder Bürger konsumiert fröhlich seine 1000 Tassen pro Jahr, als Schale hell oder Schümli, selbst der Milchschaum auf dem Cappuccino versteht sich als eine originalgetreue Nachbildung des Matterhorns. Heute ist der althergebrachte «Kafi crème» längst auf der Liste der bedrohten Arten und die «Schale» eine schale Angelegenheit angesichts der Heerscharen kolonialistischer Macchiati. Mit einer ganzen Latte Lattes lässt sich weit mehr verdienen.
Dass ausgerechnet Graubünden der Invasion Widerstand leistet, ist durchaus nicht ungewöhnlich angesichts der Bündner Kaffeetraditionen: die Brennereien von Brusio, die Kastanienkaffees aus Soglio, der Anbau von Eiskaffeebohnen oberhalb Pontresinas, und nicht zuletzt der traditionelle Kaffeeschmuggel. Im Bündnerland ist der Kaffee immer ein besonderes Getränk gewesen. Ausserdem gilt es den Ruf eines störrischen Bergvolks zu verteidigen. Als kürzlich ein Aroser Stehcafé namens Sitting Bull «friendly overgetaked» werden sollte, begann augenblicklich eine Sitzblockade der Einheimischen. Das Kaffeemagazin Cups berichtete, der Konzern plane sogar eine Dépendance auf der Internationalen Raumstation. Wird ER sich in Zukunft dort seinen Espresso holen? Wie schrieb der islamische Poet Alawi Ba Djahdab im 14. Jahrhundert: «Der, der stirbt mit Kahwa in seinem Körper, wird nicht ins Höllenfeuer kommen.»