Das Leben ist eine Quizfrage

Hans Abplanalp | veröffentlicht am 28.08.2020

In Mode ist Quizzen vor allem auf den deutschen Fernsehkanälen. «Wer wird Millionär?», «Gefragt – gejagt», «Wer weiss denn sowas», «Quizduell», «Der Quiz-Champion» locken Millionen von wissbegierigen Zuschauerinnen und Zuschauern vor die Glotze, weil sich Kandidatinnen und Kandidaten immer wieder diesem einen Moment aussetzen: «Sein oder Nichtsein – das ist hier die Antwort.»

Das Leben ist eine Quizfrage
Christof Eugster | (Nebelspalter)

Jauch, Bommes, Pflaume, Pilawa, Kerner sind, ohne selber (zu) viel zu wissen, die Moderatorengötter am täglichen TV-Quizhimmel und locken jährlich Millionen von Euros in die eigene und in fremde Taschen. Vergessen wir dabei nicht «1 gegen 100» – unsere helvetische Quizausgabe, die von Angélique Beldner im Feldweibelton moderiert wird.

«So ein Depp»
Dem gängigen Quiz liegt das einfache Prinzip zugrunde, Fragen zu beantworten. Das erlebe ich auch wöchentlich bei der Betreuung unserer Enkelkinder, wobei mir nicht drei oder vier Lösungsvorschläge zur Verfügung stehen wie den Kandidaten im Fernsehen, welche die richtige Antwort wissen oder ableiten oder ganz einfach erraten. Bildungslücken werden da schonungslos und direkt aufgedeckt im Angesicht von einigen Studiogästen (harmlos), aber Millionen anonymer Zuschauer zu Hause (brutal): «Dass die das nicht weiss!» – «So ein Depp!» – «Liest der keine Zeitung!» – «Wo bist du in die Schule gegangen?» – «Solch eine blöde Frage. Noch nie gehört!» – «Schatz, google doch mal schnell ‹Vakuole›!»

Auf dem Sofa oder im Lehnstuhl, ausgerüstet mit Chips, Cola, Bier und Google, lassen sich Bildungslücken, besser gesagt Wissenslücken, leicht verdauen. Ausgesetzt ist man höchstens sich selbst oder einem milden Lächeln, einem entsetzten Blick oder einem säuerlich wohlwollenden Kopfnicken von nebenan. Und bevor man die beantwortete Bildungslücke richtig verarbeiten oder thematisch vertiefen könnte, erscheint auf dem Bildschirm erbarmungslos bereits die nächste Frage.

Belanglos degradiert
Während eines Quiz ist das Gehirn einem martervollen Stress ausgesetzt, denn zu selten kann sich ein jubelnder Aufschrei im Wohnzimmer entladen, wenn man eine Antwort weiss oder vermutet oder eben dank dem zuverlässigen Bauchgefühl richtig erraten hat: «Das habe ich schon mal gelesen.» – «Ist doch klar!» – «Alles andere ist Blödsinn.» – «Physik, 8. Schuljahr.»

An den genauen Zusammenhang kann man sich zwar nicht mehr erinnern, aber Hauptsache, die Lösung stimmt, welche man sofort wieder vergessen darf, ja muss. Wichtige, ja weltbewegende Fragen und Antworten werden im Quiz zu Belanglosigkeiten degradiert, denn in Sekundenschnelle sind diese abgehakt.

Falls Sie ab und zu wie ich ein Quiz verfolgen, haben Sie sich gewiss schon die Frage gestellt: Wer sind diese Bildungslücken-Produzenten, die sich im passwortgesicherten Internet-Bunker diese Fragen ausdenken, zusammen mit verführerisch falschen Antworten, sodass die Lösung nicht gleich klar ist. Sicher ein intelligenter, gut bezahlter Job. Und ich habe immer noch eine Lücke auf die Frage, weshalb keine Frau ein deutsches Quiz moderiert. Wahrscheinlich sind sie einfach zu intelligent für diese sture Abfragerei. Echte Bildungslücken zeigen sich bei mir nicht in einem TV-Quiz, sondern bei den Fragen meiner Enkelkinder: «Grossvati, wann stirbst du eigentlich? Und kommst du wieder zurück?» – Eine Millionenfrage.

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