Tor des Monats

Marco Ratschiller | veröffentlicht am 06.11.2020

Offen gesagt, liebe Leserinnen und Leser, ich bin da ganz auf Ihrer Seite: Bitte nicht schon wieder eine Boni-Debatte. Haben wir dieses Thema nicht längst durch? Kann man sich 2020 wirklich noch über Topmanager und ihr Einkommen aufregen? Das ist so was von 2001, 2006 oder 2013.

Tor des Monats
Michael Streun | (Nebelspalter)

Oder weniger numerisch ausgedrückt: Das ist so was von Mario Corti, Marcel Ospel oder Daniel Vasella. Manche von uns konnten vom Alter her erst gerade ihre Eltern beim Taschengeld abzocken, als die erste sozialistische Neiddebatte über hochbezahlte Führungskräfte das Land erfasste: Warum sollen Menschen, die an einem Arbeitstag 10x?/100x?/1000x mehr leisten als gewöhnliche Büezer, nicht auch entsprechend entschädigt werden? Etwa nur deshalb, weil es keinen empirischen Beweis dafür gibt, dass ein einzelner Mensch 1000x mehr leisten kann als der Durchschnitt? Etwa nur deshalb, weil sich ein Topmanager der immensen Verantwortung, die gemäss Lohncheck auf seinen Schultern lastet, jeweils schadlos zu entziehen vermag, wenn wirklich mal was schiefläuft?

Nun hat es also Thomas Klühr erwischt, den Ende Jahr abtretenden CEO der nationalen Fluggesellschaft Swiss. Oder anders: den CEO einer von der Schweizer Regierung gerade mit 1,275 Milliarden Franken Staatsgarantie geretteten Lufthansa-Tochter. Oder nochmals anders: den Chef eines Unternehmens, dessen Mitarbeiter seit Monaten in Kurzarbeit sind und das im Rahmen eines rigiden Sparprogramms gerade rund 1000 Stellen abbauen will – während sich über CEO, CFO und den anderen Anglizismen in der Teppichetage nun das Füllhorn der variablen Lohnbestandteile ergiessen soll. Aber wer weiss denn schon, ob CEO bei der Swiss überhaupt Chief Executive Officer bedeutet, und nicht einfach Chief Earnings Optimizer? Wobei Klühr ja offiziell nur die Gehälter seiner Kader-Kumpels optimiert hat und seinen eigenen Bonus bis zum Ende der Krise zurückstellen will.

Jedenfalls wird es Thomas Klühr und seiner Führungsriege nun zum Vorwurf gemacht, für das Rekord-Geschäftsjahr 2019 jetzt noch satte Gratifikationen zu kassieren, während die inzwischen angeschlagene Airline ums Überleben kämpft. Nur: Ist die Luftfahrt vielleicht schuld an der weltweit wütenden Pandemie? Jedenfalls abgesehen vom Umstand, dass sie das Virus in kürzester Zeit global zu verteilen half?

Gerade in Krisenzeiten ist es doch wichtig, wenn wenigstens ein paar Leute genug Geld kriegen, um damit wirtschaftliche Impulse setzen zu können. Was bringt es, die gegroundeten Piloten als Lokführer einzu­setzen, wenn zugleich das Swiss-Kader aus Existenzangst sein 1.-Klasse-GA nicht mehr erneuert? Jemand muss schliesslich noch in den Zugabteilen sitzen. Besonders jetzt, wo sich wieder so viele im Homeoffice verschanzen. Statt die Swiss-Leitung der Profitgier und Kurzsichtigkeit zu bezichtigen, sollte man ihr eigenverantwortliches Konjunkturprogramm vielmehr würdigen.

Was könnte nämlich nachhaltiger sein, als sich selbst – solange es geht – einen anständigen Batzen für die Zukunft zuzustecken, anstatt diese Summe sinnlos in einer Branche zu verlochen, die wegen Coronakrise und Klimadiskussion ohnehin die besten Zeiten hinter sich hat? Eben. Und wo hat man die Zeichen der Zeit wieder einmal nicht erkannt und buttert weiter Milliarden in eine vermeintlich systemrelevante Firma? Logisch, in Bundesbern. Es ist immer dasselbe, wenn Menschen nicht ihr eigenes Geld ausgeben. Gerade darum ist es so wichtig, wenn Topmanager in erfolgreichen Konzernen möglichst viel Gewinn auf dem Vergütungsweg in eigenes Geld verwandeln.

Wir sind bei einem Begriff angelangt, der sich seit Monaten durch den Pandemie-Diskurs zieht: bei der Eigenverantwortung. Sie ist der freiheitliche Gegenentwurf zu einer Gesellschaft, die vom Staat durchreguliert wird. Sie ist Teil unserer nationalen Identität, Teil unserer Erfolgsgeschichte. Sie ist ein Stück Heimat. Darum ist es nicht verwunderlich, wenn sich so viele Schweizer in dieser Krisenzeit wieder an die Macht des eigenverantwortlichen Handelns erinnern. Während sich unser Land noch im April unter dem Diktat des Bundesrats – notabene international kaum beachtet – durch den Shutdown wurstelte, haben wir es in wenigen Wochen, dank viel Eigenverantwortung, an die Weltspitze sämtlicher Corona-Rankings geschafft. In jedem von uns steckt eben ein kleiner Topmanager.


 







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