In eigener Sache

Thomas Engeli | veröffentlicht am 01.12.2020

Nebelspalter-Verleger Thomas Engeli nimmt Stellung zu den aktuellen Schlagzeilen und Verkaufs-Gerüchten.

In eigener Sache
red. | Nebelspalter-Verleger Thomas Engeli

Liebe Abonnentinnen und Abonnenten

In den Medien wurde in den letzten Tagen verbreitet, dass der Nebelspalter verkauft werde. Dies hat zu Unsicherheiten geführt bis hin zur Angst, der Nebelspalter könnte den Weg des pointierten Witzes und der politischen unabhängigen Schlagkräftigkeit verlieren und zum Sprachrohr einer einseitigen politischen Ausrichtung mutieren. Gerne bediene ich Sie deshalb mit Informationen aus erster Hand.

Der 1875 gegründete Nebelspalter ist heute die älteste Satirezeitschrift der Weltund wurde 1996 wegen rückläufigen Abonnenten von der Ostschweiz (Löpfe-Benz Verlag, Rorschach) nach Basel verkauft. Nur zwei Jahre später liess der Reinhard-Verlag mitteilen, dass der Nebelspalter aus finanziellen Gründen endgültig eingestellt werde. Die Basler Redaktionsmitglieder hatten sich bereits anderweitig orientiert und externe Autoren liessen sich an einer Hand abzählen, weshalb kein Schweizer Verlag die serbelnde Satirezeitschrift weiterführen wollte.

Schwierige Aufgaben reizen und fordern mich, insbesondere etwas am Leben zu erhalten, was lebensfähig ist. Da ich grosser Fan des legendären Carl «Bö» Böckli bin, Satire und feinen Humor schätze, mich gerne für Minderheiten einsetze und auch den Mut aufbringe, mich wie «Bö» hartnäckig und mit Anstand gegen Machtlosigkeit zur Wehr zu setzen, hat unser Kleinverlag nur zwei Tage nach dem publizierten Nebelspalter-Ende sämtliche Verlagsrechte gesichert.

Bereits mit der ersten Ausgabe wurden Abonnenten befragt, Korrekturen vorgenommen, Leserinteressen analysiert, Feedback bewertet und die Qualität gesteigert sowie nach und nach Autoren und Karikaturisten dazugewonnen. Der Nebelspalter bekannte sich zu seinen Wurzeln, die Abonnentenzahl stieg langsam, aber kontinuierlich an, allein seit 2005 um über 60 Prozent. Jahr für Jahr, unter Einsatz beträchtlicher finanzieller Mittel.

Der Nebelspalter hat in den letzten 20 Jahren in der Ostschweiz sichere Arbeitsplätze geschaffen. Das monatliche Themen-Briefing der Redaktion geht an über 200 Karikaturisten und Autoren im In- und Ausland. Mit einer Auflage von mindestens 18'000 Exemplaren erheitert die Zeitschrift gemäss der Werbemittelforschung (Wemf) Ausgabe für Ausgabe 160'000 Leserinnen und Leser in der Schweiz. Das ist zu wenig zum Leben – aber zu viel zum Sterben.

Nun bin ich 60 Jahre alt und überlege seit zwei Jahren, wie ich den Nebelspalter in die nächsten hundert Jahre führen kann. Unser Verlag kennt sich im Print und in der Vermarktung von Printerzeugnissen aus. Defizite bestehen im Online-Bereich. Obwohl der Nebelspalter auf Facebook rund 21'000 Follower zählt und immer wieder viral gegangene Beiträge verbuchen kann, bleibt für den Nebelspalter im Online-Bereich enorm viel Potenzial ungenutzt. Verleger, welche die nächsten Jahrzehnte überstehen möchten, müssen sich der Online-Herausforderung stellen. Ohne Spezialisten und neues Kapital geht das nicht. «Le Canard enchaîné» beweist in Frankreich seit Jahren, dass gut recherchierte Artikel marktfähig sind. Der Online-Einstieg ins Tagesgeschäft mit gut recherchierten Beiträgen verlangt ein mehrköpfiges Redaktionsteam und viel Kapital, weshalb ich im Kontakt mit möglichen Inverstoren stehe.

Es ging nie darum, den Nebelspalter einfach zu verkaufen, sondern das Blatt für die Zukunft zu rüsten. Mein Wunsch bleibt, unabhängiges Kapital zu beschaffen, um den Online-Bereich professionell ausbauen zu können. Gleichzeitig will ich weiterhin Herausgeber der Printausgabe bleiben und alle Arbeitsplätze in Horn erhalten, inkl. der bestehenden Redaktoren und externen Mitarbeitenden. Der Nebelspalter weiss auch weiterhin, wo seine Wurzeln sind.

Viele Grüsse vom Bodensee

Thomas Engeli

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