
Am 23. Juli ist es so weit. Die Olympischen Spiele 2020 in Tokyo werden eröffnet. Endlich. Zwar mit einem Jahr Verspätung, aber an Zeitverschiebungen von Grossanlässen ist man ja mittlerweile gewöhnt. Da macht der Zeitunterschied zu Mitteleuropa von einem Jahr und sieben Stunden mehr oder weniger auch nichts mehr aus.
Könnte es sein, dass die Spiele erneut verschoben oder sogar abgesagt werden? Nun. Wie im alten Griechenland sind die Götter vom Olymp – sprich das IOC – und die Organisatoren in Tokyo gewillt, die Spiele noch in diesem Jahr auszutragen, auch wenn die einheimische Bevölkerung dem Grossereignis mit gemischten Gefühlen und definitiv unterkühlt entgegenfiebert. Will heissen: Die Stimmung im Land ist gedrückt, der Notstand in Tokyo gerade mal wieder verlängert und die Impfkampagne geht nur schleppend voran. Diesbezüglich hat Japan kurz vor der Eröffnung des weltweit grössten Sportspektakels nicht gerade olympische Werte vorzuweisen, zumindest was die Euphorie angeht. Das Einzige, das man derzeit mit Sicherheit sagen kann ist, dass mit Sicherheit derzeit niemand sagen kann, ob die pandemische Lage Olympia im Sommer 2021 zulassen wird oder ob wir wieder zeitverschieben müssen.
Recycling
Dabei könnten Olympische Spiele in Japan so schön sein. Gerade für uns Schweizer. Wir könnten unser Land komplett zweimal entvölkern und in die Metropole pressen, ohne dass das in Tokyo sonderlich auffallen würde. Bei schwülen Durchschnittstemperaturen von 32 Grad und einer mittleren Luftfeuchtigkeit von 75 Prozent könnten unsere Sportler die vom Künstler Junichi Kawanishi erstmals designten Recycling-Medaillen aus gespendetem Elektroschrott erkämpfen. Den Flüssigkeitsverlust könnte man mit einen Schluck Tokyoter Hahnenwasser kompensieren, der bereits 17 Mal durch den menschlichen Organismus geschleust wurde. Im Recyceln macht den Japanern niemand etwas vor. Wir könnten die mehr als 15?000 Athleten aus aller Herren*innen Länder in insgesamt 339 Wettbewerben bejubeln. Trendiges wie Base- oder Softball, Sportklettern und Skateboarden, Surfen und Bogenschiessen, Triathlon und ganze 4x400 m in der Leichtathletik wären neu auch dabei. Wir könnten Fähnchen schwenken ohne Ende. Weisses Kreuz auf rotem Grund und roter Ball auf weissem Grund nebeneinander und in olympischer Eintracht. Und wer weiss, vielleicht hebelte ein Schweizer Schwinger einen japanischen Sumo durch die Luft und verarbeitete ihn zu Softballsushi in Sägemehlmantel.
Es wäre so schön. Es müsste einfach stattfinden, auch wenn Athleten und Berichterstatter mit massiven Einschränkungen leben müssten. Denn ausser Athleten und Berichterstattern dürfte niemand live- und leibhaftig an den Spielen teilnehmen.
Playbook
So hat es der Götterhimmel – sprich das IOC – in einem entsprechenden Regelwerk, im sogenannten «Playbook», geweissagt. Anfang Februar war das. Mittlerweile will und würde das IOC in den kommenden Wochen, möglicherweise aber noch vor den Spielen, die dritte und revidierte, aber noch nicht endgültige, Version der Playbooks präsentieren. Noch hält man sich bedeckt, ob und wenn … und wenn, wann oder zumindest warum einheimische Zuschauer bei den Spielen zugelassen sein werden dürften. Möglicherweise würde es einer begrenzten Zahl von ausschliesslich Japaner*innen erlaubt sein, die Wettkämpfe vor Ort in den Stadien zu verfolgen. Ausländische Zuschauer, also der Rest der Welt, dürften nicht nach Japan einreisen.
Da mittlerweile bereits mehr als 80 Prozent der Sportler*innen geimpft und/oder gedopt seien – so gab der IOC bekannt – und damit die 14-tägige Quarantänepflicht entfalle, ist davon auszugehen, dass die Wettkämpfe möglicherweise unter Teilnahme der Sportler*innen stattfinden könnten. Des Weiteren «(…) gewährleisteten tägliche Corona-Testreihen vor Ort, vor während und nach dem Sportlerfrühstück, bis zum Schlummertrunk, die lückenlose Teilnahme der negativ Teilnehmenden an den Wettkämpfen während ihrer positiven Austragung.» So kann man*innen es lesen in der aktuellen Version des Playbooks, dem unverzichtbaren Regelwerk für jeden Olympioniken.
Das Manual ist ziemlich umfangreich geraten. So heisst es: «Alle Teilnehmer der Olympischen Spiele dürfen prinzipiell nur das tun, was sie vorab in ihren Plänen an Aktivitäten aufgeführt haben.» Oder auch nicht schlecht: «Die Kontakte zu Teilnehmern, die sich bereits mehr als 14 Tage in Japan aufhalten, sowie zu japanischen Bürgern müssen bis auf einen Meter minimiert werden.» Was das genau heissen soll, weiss ich auch nicht, aber so steht es in der überarbeiteten Fassung des Handbuchs. Hätte man statt, was verboten ist, nur das, was erlaubt wird, aufgeführt, hätte es ein einfacher Flyer getan, den auch niemand versteht.
Götterhimmel
Egal, was an der Regelwerkolympiade in Tokyo schliesslich rauskommt. Als Olympionike oder als Sportbegeisterter darf man sich glücklich schätzen, nicht teilnehmen zu können. Denn – so ist aus dem olympischen Götterhimmel jüngst zu vernehmen – «(…) sei man prinzipiell gewillt und darauf vorbereitet, die Spiele gegebenenfalls ohne Zuschauer und hinter verschlossenen Türen abzuhalten.» Möge das olympische Feuer, möge die Fackel nie erlöschen.